Es gibt keine Erleuchtung am Ende der Pose. Tatsächlich gibt es gar kein Ende dieser Posen. Es scheint mir, dass unsere Gesellschaft verliebt ist in das Mythische, Mysteriöse, Unsichtbare und Unbekannte. Wir suchen die versteckte Lehre, die geheime Schriftrolle oder den Jungbrunnen und natürlich Himmel und Hölle. Die Yoga Praxis scheint dafür genutzt zu werden, ein tieferes Ausmaß oder Erleuchtung zu erreichen. Verstehe jetzt, dass es keine Verbindung zwischen Beweglichkeit und Erleuchtung gibt. Deine physische Leistungsfähigkeit hat nichts zu tun mit einem höheren Bewusstsein. Die Tiefe, die in manchen Positionen erreicht wird, hat nur die Möglichkeit, Deinem Körper zu helfen oder zu verletzen. Diese Asanas sind nur Werkzeuge, um verschiedene Bereiche Deines Körpers zu erreichen und sich um ihn zu kümmern. Der Grund, warum es kein Ende der Asanas gibt, ist, dass unsere Körper sich immer verändern und damit auch unsere Grenzen. Die Tiefe, die in einer Asana erlangt werden kann, hängt von vielen bekannten und noch mehr unbekannten Umständen ab. Z.B. unserem Alter, Verletzungen, Job und Alltag, unserer Nahrung und wie unsere Körper auf Wetter und Temperatur reagieren usw.
Einflüsse auf die Asana-Praxis
Was ist mit der Position des Mondes? Nun, wir wissen alle was der Mond mit dem Ozean macht in Form von Ebbe und Flut. Nun, wir bestehen zu 85% aus Salzwasser; denkst Du nicht, dass uns das auch beeinflusst? Vielleicht kannst Du neben all den anderen Effekten das Maß nicht ausmachen, aber Du wirst sicherlich beeinflusst.
Ich glaube nicht, dass man all die Kräfte intellektuell verstehen kann, die uns beeinflussen. Was Du aber machen kannst, ist sehr still zu werden, damit Du nicht abgelenkt wirst, und dann zu beginnen, all die Einflüsse zu fühlen. Auf Basis dieser Gefühle können wir dann intelligente Entscheidungen treffen, wie weit und wie tief wir eine Asana erleben. So werden diese Positionen heilend; wenn wir honorieren, wie wir uns fühlen. Das können wir sicherlich verstehen!
Hör also bitte damit auf, Dir darüber Sorgen zu machen wie viel Du kannst! HÖR AUF Dich selbst und andere aufgrund ihrer physischen Fähigkeiten und ihrem Können zu bewerten, hör auf zu glauben, dass MEHR besser ist, stopp den Wahnsinn! Dies ist kein Wettbewerb. Es ist das Gegenteil. Es soll uns aus unserer konkurrierenden Mentalität rausholen. Jetzt verstehst Du, warum es keine Erleuchtung am Ende der Asana gibt! Erleuchtung ist ein höherer Zustand des Bewusstseins. Höhere Zustände des Bewusstseins sind ein Nebenprodukt mentaler Entwicklung und bewusster Evolution. Mentale Entwicklung ist ein Nebenprodukt von harter Arbeit und Anstrengung. Bewusste Evolution bedeutet das Bedürfnis, sich zu entwickeln.
Ich glaube nicht, dass Du dies lesen würdest, wenn Du nicht den Wunsch hättest, Dich zu entwickeln genauso wie ich nicht glaube, dass Du bei diesem Training wärst, wenn Du nicht bereit bist, hart zu arbeiten und Dich anzustrengen. Jetzt, wo das gesagt ist, was ist mit dem Mystischen? Was ist stark? Warum glauben wir, dass es das Mysteriöse, Unsichtbare und Unbekannte ist? Wer fand das Mystische? Wer wurde wahrhaft stark? Was haben sie gesagt? Was war ihre Lehre?
Das Leben ist mystisch
Erstens, gibt es etwas Mystischeres als das Leben? Warum müssen mystisch und stark von einer anderen Welt sein? Warum suchen die Menschen immer im Außen nach Bedeutung und Lehre? Es ist keine geheime Schriftrolle, es ist im Spiegel! Es ist im Lächeln eines Kindes, dem Duft einer Rose. Es ist in der Verletzung, es ist in der Scheidung. Es ist in der Pleite und in dem Kuss! Die meisten von uns können nachvollziehen, dass es nichts Besondereres, Mystischeres, Mächtigeres und Wichtigeres gibt. Es scheint mir, dass wenn ich das Besondere, Mystische, Mächtige und Wichtige erreichen möchte, einfach mein Leben in vollen Zügen leben muss. Ich muss irgendwie die Glanzlosigkeit weg pellen und meine Sensitivität und Achtsamkeit erhöhen. Ich muss jeden Moment meines kostbarsten Geschenks „meinem Leben“ in vollen Zügen genießen. Ich sehe das in allen Lehren der Meister, Poeten, gottähnlichen Lebewesen und Yogis. Jesus sagte „liebe“, „vergebe“, habt „Verständnis“ und „verurteile nicht“. Buddha sagte „beobachte“, „sei still“ und „diene“. Mutter Theresa war ein Leben im Dienste und Gandhi war ein Leben der Wahrheit und Gewaltlosigkeit. Das Ziel des Yoga nach Patanjali ist citta vritti nirodha, was bedeutet, still oder frei von Gedanken zu sein. Diese Leben und diese Lehren sind nur in ihrer Einfachheit esoterisch. Wir sind so beschäftigt und sind so komplex geworden, dass einfach sein tatsächlich esoterisch ist. Diese Leben und diese Lehren sagen in keiner Weise, dass etwas nötig ist, um das Ultimative zu erreichen, das bereits in unserem Leben existiert!
Das Ziel unserer Yogapraxis
Das versucht unsere Yogapraxis zu erreichen. Kein weißes Licht, das vom Himmel kommt und Dich einhüllt; keine Energie, die von der Basis Deiner Wirbelsäule empor zum Kronenchakra steigt, so dass Du eine menschliche Glühbirne wirst; kein Heiligenschein, der über Deinem Kopf schwebt. Einfach eine höhere Achtsamkeit, Erleuchtung, mehr und mehr bewusst zu werden, was mehr und mehr Einsicht bringt, was mehr Weisheit und Wahl bringt. Mit dieser Weisheit und Wahl, werden wir Meister unseres Schicksals und zufrieden in unserem Leben. Wir sehen immer klarer, wie wir unser eigenes Leid erschaffen, wie wir unseren eigenen Wohlstand erschaffen und beginnen das mystische Leben zu leben.
Willkommen beim Power Yoga.
„Unser Lehrer Bryan Kest inspiriert uns mit seinen Ansichten zur Yoga-Philosophie. Daher freuen wir uns, dass er uns sein Vertrauen schenkt und wir seine Texte übersetzen und auf unserem Blog veröffentlichen dürfen.“
Romana & Holger Zapf
Super vielen Dank für diese klare und geniale Worte! Andy
„Bryan Kest praktiziert bereits seit über 28 Jahren Yoga und unterrichtet seit mehr als 23 Jahren. Er entwickelte seinen unverwechselbaren, einzigartigen Stil – das Original Power Yoga – im Jahre 1979.“ – da kommen meine Mathematik-Kenntnisse nicht mit: Hat Bryan Kest ‚Original Power Yoga‘ entwickelt, bevor er mit Yoga anfing? 1979 liegt 37 Jahre zurück. Ein Typo (1997)?
Was meint Bryan Kest mit „Seele“ und einem „Workout“ für die Seele?
Soweit ich weiss, ist die Seele (puruṣa, oder ātman) in der indischen Philosophie (und damit in der Yoga Philosophie) ewig und unveränderlich, jenseits von Karma, komplett unberührt von jeglichen Handlungen, die wir ausführen. Hat Bryan Kest ein eigenes Seelen-Modell?
Wie passt die Idee von „Seele“ zu seinem anfäglichen Statement: „Es scheint mir, dass unsere Gesellschaft verliebt ist in das Mythische, Mysteriöse, Unsichtbare und Unbekannte. Wir suchen die versteckte Lehre, die geheime Schriftrolle oder den Jungbrunnen und natürlich Himmel und Hölle.“ Ist die „Seele“ nicht ein solches „Mythisches, Mysteriöses, Unsichtbares und Unbekanntes“?
Danke für Eure Beiträge. Ich freue mich auf die Antworten! Philipp E Lemke
Lieber Philipp, Danke für Deinen Kommentar. Ich finde es super, dass Du Dich so intensive mit dem Artikel beschäftigt hast. Ich kenne Bryan jetzt schon seit viele Jahren und versuche mal stellvertretend für ihn zu antworten:-)
-Mathematik: Danke für den Hinweis, da sind bei uns die Finger mit uns auf der Tastatur durchgegangen. Er praktiziert seit 1979 und unterrichtet seit 1985. Danke für den Hinweis, wir ändern das!!!!!
Workout der Seele: Umgangssprachlich sagt man so schön: „Das hat eine tolle Wirkung auf Körper, Geist und Seele“. Wenn man es ganz genau nimmt, stimmt das nicht ganz- wie Du hier treffend bemerkt hast. Den dadurch, dass wir lernen die Gedanken zur Ruhe zu bringen, schaffen wir die Grundvoraussetzung, um unserer Seele wieder zuzuhören und daraus entsteht Frieden und Glück.
Seele Mythisch: Ich denke hier geht es ihm darum, dass durch die verschiedensten Yogastile und Religionen „…im Außen nach Bedeutung und Lehre“ gesucht wird, wie er schreibt und eben nicht im Inneren. Das geschieht auch im Asanapraxis-orientierten-Yoga sehr oft. Nach dem Motto: Wenn ich den Handstand kann, bin ich bestimmt erleuchtet…! Dabei geht es doch eigentlich genau darum alle Konzepte loszulassen und in sich hinein zu spüren.
Ich hoffe, die Erklärungen bringen Dich ein wenig weiter. Falls Du noch weitere Fragen hast, komme doch einfach zu uns ins UNIT zu einem seiner Workshops und frage ihn selbst:-)
herzliche Grüße,
Holger
Danke für diesen wunderbaren Beitrag! DANKE weil er viel Druck nimmt. Ich praktiziere und Lehre seit vielen Jahren ashtangayoga und immer wieder habe ich Phasen, in denen ich dachte, ich müsse doch nun endlich etwas besonders Mystisches erleben. Die Mystik ist das Leben an sich! Jeder Augenblick allein, mit der Natur oder mit anderen Menschen. Begegnung, Berührung und Bewegung. Wow, danke dass mich dieser Beitrag daran erinnert hat
Das sind so treffend formulierte klare Worte. Ich bin sehr berührt. Namaste Andrea.