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Meine erste Yogastunde mit nachhaltiger Wirkung liegt viele Jahre zurück. Damals habe ich mit einer Freundin verschiedene Lehrer, Stile und Studios ausprobiert. Wir wollten selbst sehen, was hinter dem viel beschworenen Yoga steckt.

Mein erstes „Chaturanga Dandasana“ (= yogischer Liegestütz) bestand aus ca. 2 cm kontrolliertem Absenken (das ist die optimistische Einschätzung), gefolgt von unkontrolliertem Abkrachen in die Bauchlage.

Dieses vermeintlich frustrierende Erlebnis hat nicht gereicht, um den Gesamteindruck zu zerstören: Ich habe mich einfach rundum gut gefühlt nach dieser Stunde! Und ich bin beim Yoga geblieben. Irgendwann plötzlich war sie da: die Stunde, in der ich achtsam in die Bauchlage schweben konnte.

Worauf sich dieses Wohlbefinden nach meiner ersten, sich für mich stimmig anfühlenden, Yogastunde zurückführen ließ, hätte ich rational gar nicht sagen können. Denn zu der Zeit hatte ich noch gar nicht verstanden, was Yoga eigentlich ist.

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© Jacqueline Kulka / jKnOw photo design

 

 

 

 

 

 

Yogaklassen für Anfänger

Heute unterrichte ich selbst regelmäßig Anfängerklassen. Ich freue mich auf jeden Kurs und schätze sehr, was mir diese Klassen als Yogalehrerin abverlangen: die eigene Perspektive immer wieder umlenken, mit Erklärungen bei der Basis ansetzen, Möglichkeiten eröffnen, um Yoga kennenzulernen und erspüren zu lassen.

In diesem Artikel möchte ich – basierend auf meinen Erfahrungen – ein paar Anregungen für den Einstieg ins Yoga zusammenstellen.

Möchtest Du mit Yoga beginnen oder hast kürzlich damit angefangen?

Hier sind meine persönlichen 10 Top-Tipps für Dich:

1. Geduld

Yoga lehrt uns Geduld. Aber Du brauchst diese Eigenschaft schon am Anfang:

  • Lass Dir Zeit, Deine/n Lehrer/in und Deinen Yogastil zu finden!

Probiere aus, bevor Du Dich festlegst. Lass Dich nicht nach der ersten frustrierenden Erfahrung abschrecken (was nicht sein muss, aber kann). Die Stile sind vielfältig, die unterrichtenden Charaktere ebenfalls, die Stimmung in den Studios ohnehin. Wenn Du hingehst, obwohl Du Dich nicht wohl fühlst, wirst Du vermutlich nicht dran bleiben.

  • Lass Dir Zeit in Deiner persönlichen Entwicklung!

Du wirst schnell merken, wie viele Möglichkeiten Yoga auf physischer und mentaler Ebene bereithält – genug, um sich ein Leben lang damit zu beschäftigen. Das ist aber kein Grund, Ehrgeiz an den Tag zu legen. Genieße die Stunden, erspüre Deine tagesaktuelle Grenzen und lasse Fortschritte in Deinem natürlichen Tempo zu – dann stellt sich die Entwicklung auf persönlicher, mentaler und körperlicher Ebene von ganz allein ein.

2. Atem

Ohne den Fokus auf die Atmung würde Yoga als reine Gymnastik durchgehen. Erst die Bewusstseinslenkung auf den Atem lässt Körper, Geist und Seele zu einer Einheit verschmelzen. Im Yoga bezeichnen wir den Atem auch als Brücke zwischen ihnen.

Der Atem führt die Bewegung an, er zeigt uns unsere Grenzen auf, bringt die Energie zum Fließen und schenkt uns Kraft für die Asanas (= Körperstellungen).

Mit der Zeit werden unsere Empfindungen subtiler, wir können Körpersignale früher und besser deuten und wir bauen ein gutes Körpergefühl auf – sprich, wir kreieren eine neue Verbindung (siehe Punkt 7) zu unserem Inneren und zu unserem Körper. Aber auch hier ist Punkt 1 im Spiel!

3. Ego adé

Im Yoga heißt es immer, dass das Ego vor der Tür bleiben soll. Was meint das? Für mich steckt dahinter nichts weiter als das, was wir oft aus dem Alltag so gut kennen und hier eben nicht wollen:

  • Ehrgeiz: Ich WILL diese Asana auf eine bestimmte Art und Weise ausführen, damit sie oder vielmehr ich gut aussehe.
  • Leistungsdruck: Ich MUSS dies oder jenes schnell lernen, können, schaffen, erreichen etc.
  • Vergleichsdenken: Bei meiner Mattennachbarin oder meinem Mattennachbarn sieht das so leicht aus. Was sie oder er kann, möchte ich auch können. Und zwinge mich in etwas hinein, wofür mein Körper noch gar nicht bereit ist und vielleicht auch aus (anatomischer Sicht) nie sein wird.

Dadurch bewerten wir, setzen uns unter Druck und verlieren die Verbindung zu uns selbst.

Ich behaupte jedoch, das Ego lässt sich nicht komplett abschalten. Es ist ein Teil von uns.

Aber: Wenn Du zulässt, im Yoga zu FÜHLEN und z. B. eine Asana von Innen her zu erfahren und nicht von ihrer äußeren Form her, dann bist Du auf einem guten Weg. Hilfreich ist es, immer mal zwischendurch die Augen zu schließen, um die Innensicht zu verstärken.

4. Akzeptanz

Yoga ist ein wunderbarer Begleiter in unserer Persönlichkeitsentwicklung. Aber Du machst kein Yoga, weil Du unvollkommen wärst. Wir alle sind auf wundersam und wunderbar unterschiedliche Art vollkommen! Ob mit oder ohne Yoga.

Eine regelmäßige Yogapraxis hilft Dir, Dich selbst anzunehmen wie Du bist, Deine körperlichen Grenzen (die übrigens an jedem Tag ein wenig anders gelagert sein können) zu akzeptieren und mit GEDULD (siehe 1.) sanft zu verschieben.

Akzeptiere, dass die Asana nur die äußere Form ist. Sie sieht bei jedem von uns ein wenig anders aus. Einfach, weil wir alle unterschiedlich sind: Wir sind anatomisch nicht identisch (manche Bewegungen gehen aufgrund der individuelle Anatomie bei Einzelnen gar nicht oder nur in einer bestimmten Variante und das ist nicht schlimm), wir haben verschiedene Ausgangslevel und jeder hat sein eigenes Tempo im Aufbau von Muskelkraft und Ausdauer.

Mit diesem Wissen als Basis ist klar: Du gehst DEINEN Weg im Yoga! Yoga ist derart gelagert, dass eine individuelle Entwicklung nicht nur möglich, sondern gewünscht ist!

5. Ausrichtung

Die Ausrichtung in den Asanas ist sehr zentral. Jetzt könnte man sagen: Dann ist es ja doch die äußere Form. Jein.

Silke Schuster_Sonnenkrieger

Ich halte es grundsätzlich für sinnvoll, dass Yoga-Interessierte ohne Erfahrung zunächst einen Anfängerkurs besuchen. Einmal, um einige zentrale Ideen dieser Philosophie mal gehört zu haben. Vor allem aber, um ein grundlegendes Verständnis für die Ausrichtung in den Asanas kennenzulernen, bevor sie sich vielleicht eine Bewegung angewöhnen, die mittel- bis langfristig schädigen kann.

In den fortgeschrittenen Klassen wird darauf u. U. weniger eingegangen, was das Verletzungsrisiko erhöhen kann, wenn man sich mit der Ausrichtung nicht auskennt und keine Rücksicht auf die eigenen Grenzen nimmt.

Eine Asana bauen wir immer von der Basis auf. D. h. wir beginnen i. d. R. mit den Füßen, die Bodenkontakt haben (bei Armbalancen sind es natürlich nicht die Füße). Von dort entwickeln wir die Asana nach oben weiter.

Ziel der Ausrichtung ist es, gelenkschonend zu stehen, damit wir uns nicht verletzen – weder akut noch künftig. Ist dieses Prinzip verinnerlicht, kannst Du Vieles auch auf andere Asanas übertragen. Essenziell ist auch der Energiefluss. Sind die Gelenke übereinander ausgerichtet, stimmt die Kraftachse und strömt der Atem frei, kann die Energie ungehindert fließen. Wir bekommen Kraft für die Asana und können uns auf die Atmung besinnen.

6. Meditation

Meditation ist einer von acht Schritten auf dem Yogaweg. In einer regulären Yogaklasse gibt es eine kurze Einstimmung zu Beginn und eine Endentspannung am Ende der Klasse. Für eine längere Meditation bleibt hier normalerweise keine Zeit. Es heißt, dass wir uns mit den Asanas auf das längere Sitzen in der Meditation vorbereiten. Gleichzeitig können wir die Asanas als Meditation in Bewegung verstehen.

Welchen Zugang Du auch immer zur Meditation finden wirst: Bleibe geduldig und offen. Es ist eine gleichermaßen schwierige (schenken wir den „wilden Affen“ in unserem Kopf doch zu gern Aufmerksamkeit) wie wunderbar effektive Methode für innere Ruhe, für Wohlbefinden und einen klaren Geist.

Silke_Meditation

© Jacqueline Kulka / jKnOw photo design

7. Verbindung

Im Yoga stellen wir eine Verbindung zu uns selbst her. Ganz oft wurde diese Verbindung dank unseres schnelllebigen und leistungsorientierten Alltags gekappt.

Der Atem verbindet Dich mit Dir selbst, ob Du das nun willst oder nicht. Er hilft auch, zusammen mit den Bewegungsabläufen, körperliche und seelische Blockaden zu lösen.

Das kann mitunter dazu führen, dass einem mal die Tränen aus den Augen treten, ohne dass man genau sagen könnte warum. Lass zu, was da ist und lass zu, was aufkommt. Eine Yogaklasse ist der Rahmen, wo so etwas passieren kann und darf. Wie befreit wir uns fühlen, wenn sich eine Blockade gelöst hat!

8. Spaß

Ich finde: Yoga soll Spaß machen! In meinen Stunden ist Lachen erwünscht. Denn auch das entspannt. Es muss nicht alles bierernst sein. Natürlich brauchst Du Konzentration für die Stunde, aber das A und O ist, dass Dir Yoga gut tut und die Stunde Dir Freude bringt. Dann stellen sich die gewünschte Effekte ein und Du kannst das entspannte Gefühl nach der Klasse mit in Deinen Alltag (siehe Punkt 10) nehmen.

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9. Regelmäßigkeit

Die (langfristigen) Wirkungen des Yoga spürst Du erst, wenn Du regelmäßig praktizierst. Natürlich fühlst Du Dich nach einer Klasse irgendwie gut. Aber das kann schnell wieder verpuffen. Wenn Du z. B. erst zwei Wochen später wieder Yoga machst, fehlt der Anschluss. Es gilt: Lieber täglich 10 Minuten als alle zwei Wochen eine Stunde. Im Grunde also wie auch im Sport. Manchmal siegt der Schweinehund (er ist unser aller Begleiter!) und das darf er auch. Aber das Spiel sollte fair bleiben: Er darf nicht täglich siegen. Lege Dir Deine Yogamatte neben das Bett oder an eine andere Stelle, wo Du praktisch drüber stolperst. Selbst drei Sonnengrüße pro Tag machen Deinen Geist und Körper schon geschmeidig

10. Alltag

Yoga hört nicht nach der Klasse auf! Das wirst Du im Laufe Deiner Yogapraxis merken. Denn das Körpergefühl, die innere Ruhe oder auch die gelebten Werte werden sich in Dir manifestieren. Das, was Du auf der Matte übst, kann stellvertretend für den Alltag stehen: Kannst Du in herausfordernden Asanas Ruhe bewahren und weiter atmen, kannst Du das auch in herausfordernden Situationen im Alltag. Du übst auf der Matte sozusagen den Ernstfall im Alltag bzw. stärkst Dich präventiv.