Die Welt, die Medien, unser Alltag. Seit mittlerweile einem Jahr wird vieles von der Pandemie beherrscht. Der Ausnahmezustand ist zu so etwas wie einem neuen, vorübergehenden Normalzustand geworden. In dieser Zeit habe ich eine Standardhaltung des Yoga, welche ich bereits vor der Corona unzählige Male praktiziert habe, für mich neu entdeckt.
Dem Homeoffice begegne ich unbestritten mit gemischten Gefühlen. Eigentlich bin ich tagsüber lieber unter Menschen und ziehe eine klare Trennlinie zwischen Arbeit und Privatleben. Doch einen neuen Vorteil konnte ich für mich entdecken: ich kann mich jederzeit nach einer stressigen Telefonkonferenz oder einem E-Mail-Marathon für einige Minuten zusammenkugeln, in mich zurückziehen und es mir auf meinem flauschigen Teppich im Wohnzimmer gemütlich machen. Damit erspare ich mir zum einen die Kommentare meiner Kollegen, die unweigerlich kommen würden, wenn ich es mir auf unserem Bürofußboden gemütlich machen würde, zum anderen wälze ich mich nicht in Staub und Essenskrümeln.
Wenn ich in meiner Mittagspause merke, dass mein Körper, mein Nacken, mein Kiefer angespannt sind, ist dies für mich ein deutliches Zeichen, mal wieder eine kleine Pause einzulegen und mir auf der Meditations-App „Insight Timer“ einen schönen Timer mit klangvollem Gong für fünf Minuten einzustellen und mich ganz in mich selbst zurückzuziehen.
Auch Entspannung muss trainiert werden
Über die Jahre meiner Yogapraxis habe ich gelernt, dass auch Entspannung ähnlich wie die Muskulatur trainiert werden muss. In meinen ersten Yogastunden liefen mir in Shavasana noch allerlei Gedanken durch den Kopf – natürlich passiert mir das auch heute noch. Ich spüre jedoch ganz deutlich, wie mein Körper sich über die Jahre daran gewöhnt hat, dass er in bestimmten Yogapositionen loslassen darf – in Shavasana und auch in Balasana. Wenn ich in der aktuellen Situation also fühle, dass mein innerer Stresspegel steigt, und ich begebe mich in die Haltung des Kindes, dann weiß mein Körper: Jetzt darf ich entspannen. Und dabei zieht er den Geist mit sich.
Wie oft wäre ich in Vinyasa-Stunden am liebsten noch 10, 15 Minuten in der Haltung des Kindes liegengeblieben! Für einen kürzeren Zeitraum habe ich das auch schon gemacht – schließlich ist es eines der yogischen Grundprinzipien, dass jeder, der Erholung braucht, sich diese immer nehmen darf. Und doch sträubt sich bis heute etwas in mir, einen so wesentlichen Teil der Yogastunde mit Entspannung zu verbringen und viele andere Asanas, die mir ebenfalls guttun, zu verpassen. Die neue Möglichkeit, diese Yogahaltung einfach fest in meinen Alltag zu integrieren, kam mir sehr gelegen.
Das Zurückziehen in mich selbst
In keiner anderen Haltung bin ich mir selbst körperlich und geistig so nah, wie in Balasana. Alle verletzlichen Teile meines Körpers werden von mir selbst bedeckt und auch im Geist darf ich einfach loslassen. Nicht nur für Mittagspausen an stressigen Tagen eignet sich Balasana perfekt: auch vor dem Schlafengehen können fünf Minuten, in denen ich nichts machen muss und keiner Form gerecht werden muss, meinen Körper wunderbar zur Ruhe bringen. Ich erinnere mich noch gut an Abende, an denen die Gedanken in meinem Kopf so durcheinandergingen, dass ich bereits davon ausging, dass es schwierig werden würde, in den Schlaf zu finden. Hier hat Balasana für mich Wunder gewirkt! Balasana vor dem Einschlafen einzunehmen, hat außerdem den Vorteil, dass ich so lange liegen bleiben kann, wie mein tiefstes Inneres es für gut hält. Wie häufig tut man das wirklich im Alltag? Meistens ist man doch irgendwem verpflichtet – seiner Arbeit seinem Partner, oder manchmal auch nur den Gedanken in seinem eigenen Kopf, die einen dazu bringen, nach der Yogastunde direkt wieder loszulaufen und die neu gewonnene Entspannung direkt wieder in Energie für das Abarbeiten der To-do-Liste umzuwandeln.
Shavasana kann natürlich eine ähnlich kraftvolle Wirkung entfalten, und ist nochmal eine Geschichte für sich selbst. In Shavasana merke ich jedoch manchmal, dass ich trotz Decke und warmen Klamotten fröstele, meine Augenlider flackern oder ich mich offen und verletzlich fühle, obwohl ich mich vor der Welt für ein paar Minuten verkriechen möchte, um dann gestärkt wieder zurückzukommen. In Balasana spüre ich meine eigene Körperwärme, meinen eigenen Herzschlag, ich kann durch das Ablegen des Kopfes auf dem Boden meinen Blick und darauffolgend auch meine anderen Sinne zurückziehen und einen Ort finden, an dem ich wunderbar entspannen und regenerieren kann.
Selbstheilungskräfte stärken in fordernden Situationen
Ein weiteres unvergessliches Erlebnis mit Balasana hatte ich, als vor einigen Wochen nach einer Arbeitswoche mein Nacken schmerzhaft verkrampft war. Mit einigen Jahren Yogaerfahrung und nach mehreren schmerzhaften Nackenverrenkungen habe ich sehr schnell gespürt, dass die Schmerzen in meinem Nacken das Resultat stressiger Tage zuvor waren. Ich nahm mir also einige entspannende Minuten, um in Balasana alles loszulassen. Und siehe da: nur zehn Minuten und die Schmerzen, die mich tagelang eingeschränkt hatten, waren tatsächlich verschwunden!
Bis vor der Coronapandemie habe ich in meinem Yogastudio in Balasana stets die Hände nach vorne ausgestreckt, um zusätzlich noch einen sanften, angenehmen Stretch zu spüren. Auch wenn ein Stretch natürlich ebenfalls sehr entspannend sein kann, habe ich in den letzten Monaten zu Hause etwas gespürt, was ich in all den Jahren zuvor nicht spüren konnte: Wie man wirklich alles gehen lassen kann, wenn man die Arme neben den Beinen ablegt. Natürlich ist keine Variante besser als die andere, und doch konnte ich spüren, wie sehr ich davon profitiere. Nacken, Schultern und Kopf: drei Bereiche des Körpers, welche in herausfordernden Zeiten wie diesen besonders leiden, können tiefe Erholung erfahren und dürfen sich einfach sinken lassen, ohne ein Ziel erreichen zu wollen.
Das ist ein Aspekt, den ich an Yoga wirklich liebe: Auch nach Jahren kann man noch spüren, wie kleine Veränderungen der Positionen einen neuen Effekt erzielen können. Kreativität und die Möglichkeit, sich selbst zu spüren und immer wieder neu zu erleben, sind grenzenlos!
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