Natürlich hören wir im Yoga immer wieder, wie wichtig unsere Basis ist. Aber was ist genau unsere Basis? Was steckt hinter der Aussage, dass die Stellung unserer Füße Auswirkung auf die Ausrichtung des gesamten Körpers haben? Was hat es mit Knie- und Hüftproblemen auf sich? Diese und mehr Antworten findest Du in diesem Artikel.
Mir persönlich geht es so, dass ich meine Teilnehmer so individuell wie möglich beraten und betreuen möchte. Je mehr ich über die körperlichen und mentalen Zusammenhänge weiß, desto eher gelingt mir diese individuelle Betreuung.
Deswegen sind bei orthopädischen Fragestellungen immer zwei Dinge im Fokus meiner Betrachtung. Einmal die das Gelenk oder den Knochen bewegenden Muskeln plus die Fähigkeit des Gehirns, diesen Muskel auch „bedarfsgerecht“ anzusteuern. Denn das eine funktioniert nicht ohne das andere. Sind die Muskeln nicht optimal ausgeprägt oder ist das Bindegewebe verkürzt, werden die Gelenkpartner in eine falsche Gelenkposition gezogen. Werden die Muskeln vom Gehirn aus nicht richtig angesteuert, kann der Muskel nicht optimal arbeiten, häufig zum Leidwesen der Gelenke.
Die Füße – unsere Basis
Bei allen Standpositionen sind unsere Füße unsere Basis! Immer wieder höre und sehe ich, dass Menschen unter Fußfehlstellungen leiden. Ob Hallux Valgus, Plattfüße, Senk-Spreiz-Füße… die Auswirkung von zu schwacher oder falsch ausgeprägter Muskulatur ist bei den Füßen besonders groß, denn schließlich müssen sie unser gesamtes Körpergewicht tragen.
So stehen wir bei jedem Schritt im Einbeinstand und unser gesamtes Körpergewicht drückt auf die knöchern Strukturen der Füße. Die Fußmuskulatur hat also die Aufgabe dafür zu sorgen, dass bei dieser hohen Belastung der Fuß in seiner Form bleibt.
Darum gibt es in den Füßen auch so viele Muskeln. Etwa 12,5% aller Muskeln des menschlichen Körpers bewegen unsere Füße! Wenn wir uns das vor Augen halten, können wir erahnen, wie viel wir allein auf muskulärer Ebene erreichen können, wenn wir diese Muskeln gezielt kräftigen!
Natürlich dürfen wir als Yogalehrer keine Diagnose stellen und dürfen per Gesetzt auch nicht heilen, aber auch durch Maßnahmen die im sekundär- oder tertiärpräventiven Bereich angesiedelt sind, können wir jede Menge Gutes tun!
Fußfehlstellungen: zu wenig Maximalkraft
Probiere es einfach mal selber aus. Wenn Du das nächste Mal aus der Dusche kommst, gehe mit den nassen Füßen auf die Fliesen und bewundere Deine Fußabdrücke. Stellst Du Dich nun in einen Einbeinstand, z.B. in den Baum, dann wird der Fußabdruck wahrscheinlich etwas breiter sein, als wenn beide Beine aufstehen. Ist ja auch klar: Stehst du auf einem Bein, trägt der entsprechende Fuß Dein gesamtes Körpergewicht, dass sich sonst eben auf beide Füße verteilt. Die Kraft die auf ihn einwirkt, ist also doppelt so groß. Je stärker die Fußmuskulatur ist, desto geringer wird der Unterschied der Fußabdrucksform zwischen dem Stand auf beiden und einem Bein ausfallen.
Ist die Fußmuskulatur zu schwach, um überhaupt ein Quergewölbe zu bilden, spricht man von Plattfüßen. Ist das Längsgewölbe zu schwach, dann schiebt sich oft ein Knochen am großen Zeh nach außen, wodurch ein der sogenannte Hallux Valgus entstehen kann.
Muskuläre Dysbalancen & Arthrose
Es ist also extrem wichtig die Kraft der Fußmuskulatur aufzubauen, damit die Längs- und Quergewölbe richtig schön zur Geltung kommen können. Grade wenn Du Dir vor Augen hältst, dass die beiden Fußgewölbe so wichtig für die korrekte Ausrichtung der Beine sind. Ist das Fundament schief, werden die darauf gebauten Säulen nicht gerade sein.
Und genauso funktioniert es auch bei unseren Beinen: Die Unterschenkel „balancieren“ auf den Füßen (Sprunggelenke), die Oberschenkel „balancieren“ auf den Unterschenkeln (Kniegelenke). Steht der eine Gelenkpartner „schief“ versucht der andere Gelenkpartner das auszugleichen. Dadurch ist das Gelenk nicht optimal ausgerichtet und auf Dauer drohen unterschiedlichste Verschleißerscheinungen: Über X- oder O-Beine kann es zu Arthrose im Kniegelenk kommen, durch eine unphysiologische Ausrichtung in der Hüfte zu Hüftgelenksarthrose oder Rückenproblemen. Durch diese Fehlhaltung entstehen dann schnell muskuläre Dysbalancen, die das Beschwerdebild dann oft noch weiter verstärken.
Vielleicht runzelst Du jetzt die Stirn und fragst Dich: „…und das alles nur, weil meine Fußmuskeln nicht kräftig genug sind?“
Die einfache Antwort ist, dass es oft genauso ist!
Aber weißt Du, wo die Muskeln sind die den großen Zeh bewegen? Welcher Muskel dafür sorgt, dass wir den großen Zeh von links nach rechts bewegen können oder wie Du gezielt das Quergewölbe aktivieren kannst?
Ist die Antwort „Nein“ ist das eigentlich nicht wirklich schlimm, doch für uns als Yogalehrer ist dieses Wissen sehr hilfreich, da wir beim Adjusten beispielsweise einen Finger auf den entsprechenden Muskel legen können, damit er besser angesprochen werden kann oder damit wir uns gezielte Übungen überlegen können, die exakt auf die Bedürfnisse unseres Teilnehmers zugeschnitten sind.
Fußfehlstellungen: motorisches Lernen
Bei manchen Menschen ist die Fußmuskulatur theoretisch stark genug, trotzdem kommt es zu Fehlstellungen. Das kann natürlich daran liegen, dass die knöchernen Strukturen hier besonders „kunstvoll“ gewachsen sind, es kann aber auch daran liegen -und das ist nach meiner Erfahrung viel häufiger der Fall- dass unser Gehirn die Muskeln nicht entsprechend ansteuern kann.
Jede Bewegung, die wir machen, ist irgendwann einmal gelernt worden. Wenn Du Dir kleine Kinder bei ihren ersten Schritten anschaust, weißt Du sofort: Gehen müssen wir mühsam erlernen! Nun sagt uns aber keiner wie man richtig geht und welche Muskulatur wir anspannen und welche wir loslassen sollten! Sondern wir lernen das über Versuch und Irrtum. Das was uns aufrecht stehen lässt ist „richtig“ und wird als Bewegungsprogramm abgespeichert. Dabei kommt schnell auch mal eine Bewegungsgewohnheit heraus, die für unsere Gelenke nicht optimal ist – also eine Fehlstellung. Das macht sich oftmals erst nach Jahren bemerkbar. Doch ist es dann meist noch NICHT zu spät und wir können durch entsprechendes Üben die motorischen Programme wieder umschreiben. Die Krux an der Sache ist, dass das Umschreiben dieser Bewegungsprogramme ein sehr langwieriger Prozess ist. Wir brauchen sehr viele Wiederholungen an bewussten Bewegungen, bis das Gehirn lernt die Muskulatur anders einzusetzen. Doch im Laufe der Zeit nähert sich schließlich die individuelle Ausrichtung der optimalen Gelenkausrichtung an.
Für diesen Prozess ist die Asanapraxis sehr gut geeignet! Denn hier vereinen sich Achtsamkeit, Konzentration, bewusste Bewegung und ein korrektes Alignment – das Ganze auch noch barfuß auf der Matte.? Im Gesamtpaket also genau die Mischung, die das Gehirn braucht, damit die Bewegungsprogramme umgeschrieben werden können.
Die Knie haben es nicht leicht!
Unsere Kniegelenke haben es tatsächlich schwer, denn die das Kniegelenk bildenden Knochen des Unter- und Oberschenkels sind nicht nur sehr lang, sondern die an den anderen Enden liegenden Gelenke sind viel beweglicher. So kann sich das Hüftgelenk als Kugelgelenk quasi in alle Richtungen bewegen und die Kombination aus oberem und unterem Sprunggelenk lassen auch viele Bewegungen zu. Das Kniegelenk ist zwar kein reines Scharniergelenk -je nach Position sind leichte Rotationsbewegung im Kniegelenk möglich- aber zu viel Rotation sorgt schnell für Verletzungen provozierende Scherkräfte!
Die gute Nachricht ist: die das Kniegelenk stabilisierende Muskulatur wie z.B. die Muskulatur der Oberschenkelvorderseite und -rückseite kann normalerweise sehr viel Kraft entwickeln und das Gelenk sicher und der Form halten. Dafür muss die Muskulatur aber im Verhältnis zu ihrer Funktion die richtige Kraft entwickeln, sonst wird das Knie auch schnell in die falsche Richtung gezogen. Hier können sogar die vier verschiedenen Muskelstränge der Oberschenkelvorderseite schnell im Verhältnis zueinander zu stark oder schwach sein und so für X-, O-Beine, Kniegelenksarthrose oder gar ein künstliches Kniegelenk verantwortlich sein.
Die Hüfte: Dreh und Angelpunkt
Die Verbindung zwischen den Beinen und dem Rumpf bildet das Hüftgelenk. Ein Kugelgelenk, welches sich in viele Richtung bewegen kann. Klar, für jede dieser Bewegungen muss es einen Muskel geben der die Bewegung ausführt und einen, der den Oberschenkelknochen auch wieder in die ursprüngliche Position zurückführt. Deswegen gibt es ziemlich viele Muskeln, die das Hüftgelenk bewegen – was die Sache recht komplex macht. Die Hüfte ist zwar ein sogenanntes bandgeführtes Gelenk, aber muskuläre Dysbalancen oder verkürzte fasziale Strukturen haben eine oft fatale Wirkung, denn schließlich kann die korrekte Ausrichtung des Hüftgelenks darüber entscheiden, wie die Wirbelsäule ausgerichtet ist! Eine falsche Ausrichtung der Hüfte kann also nicht nur zu einer Fehlstellung des Hüftgelenkes selber, sondern auch der Wirbelsäule -und damit zu Rückenschmerzen- führen.
In 4 Schritten zu einem achtsameren Yogalehrer
Doch was machen wir nun mit diesem Wissen in der Praxis als Yogalehrer? Wenn wir uns diese Zusammenhänge klar gemacht haben und am eigenen Körper gespürt haben, wie unterschiedlich aktivierte Muskulatur die Gelenkwinkelstellung und damit das Alignment verändern kann, ist es so unfassbar wichtig den Blick zu schulen.
Denn natürlich wollen wir mit unserem Wissen andere Yogis unterstützen. Deswegen gibt es folgende 4 Schritte die aus meiner Sicht wichtig sind:
- Verstehe wie die Muskeln arbeiten
Beschäftige Dich mit den Muskeln, versteh wie sie das entsprechende Gelenk bewegen und was passiert, wenn dieser Muskel im Vergleich zu seinem Gegenspieler zu stark oder zu schwach ist. - Spüre die Muskelarbeit
Übe die Muskeln anzuspannen und spüre, was dabei in Deinem Körper passiert. Dann findest Du Deine Ansagen, Deine Bilder, mit denen Du Deinen Schülern vermitteln kannst, wie die entsprechen muskuläre Aktivität entsteht. - Übe hinzuschauen
Beobachte Deine Schüler genau und lerne zu erkennen, was die Ursache für eine Fehlhaltung sein könnte und überlege Dir, welcher Muskel wie aktiviert werden könnte, um hier ein optimales Alignment zu erzeugen. - Kultiviere Deine Anweisungen:
…um das entsprechende Alignment zu erzeugen. Probiere aus, mit welchen Ansagen bei Deinen Schülern die Ausrichtung entsteht, die Dir wichtig ist.
Diese vier Schritte sind Inhalte des 1. Moduls „Untere Extremitäten“ der Yogatherapie Ausbildung. Wenn Dich dieses Thema interessiert und Du Dein Wissen als Yogalehrer weiter vertiefen möchtest, dann freue ich mich Dich auf diesem Weg zu begleiten.
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